WAHLBEOBACHTUNG TÜRKEI

TÜRKEI-WAHL

VON CHANCENGLEICHHEIT KONNTE KEINE REDE SEIN

Am 15. Mai ging 89% der wahlberechtigten Bevölkerung bei den türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wählen. Michael Georg Link leitete die internationale Wahlbeobachtungsmission von OSZE und Europarat.

Michael Georg Link

Michael Georg Link

FDP-Bundesschatzmeister & Europapolitischer Sprecher der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag

Wahlbeobachtungen analysieren, ob eine Wahl im Einklang mit internationalen und nationalen Standards abläuft. Dabei folgen wir einer ausgefeilten wissenschaftlichen Methodologie, die kontinuierlich verfeinert wird. In Zweierteams besuchen wir die Wahllokale und halten unsere Beobachtungen in über 80 standardisierten Rastern fest. Insgesamt waren über 300 Wahlbeobachter im Einsatz, verteilt über die ganze Türkei. Am Tag nach der Wahl werden die Erkenntnisse der Kurzwahlbeobachter, die den Wahltag beobachten, sowie die Berichte der Langzeitwahlbeobachter, die über viele Wochen hinweg den gesamten Wahlkampf selbst verfolgen, in einem Gesamtbericht zusammengefasst. Diesen Prozess zu leiten und den Bericht am Tag nach der Wahl der Öffentlichkeit vorzustellen, war meine Hauptaufgabe in der Türkei.

Ungleiche Chancen der Bewerber

Unser Bericht fiel ernüchternd aus: In einem begrenzten Maße konnten zwei große Lager gegeneinander antreten, Kilicidaroglus Bündnis gegen Erdogans Lager. Da jedoch verschiedene Parteien und zahlreiche Politiker gar nicht erst zur Wahl zugelassen waren und in den Medien seit Jahren eine einseitig positive Darstellung Erdogans und seines Lagers vorherrscht, konnte in dieser Wahl von Chancengleichheit absolut keine Rede sein.

Obwohl am eigentlichen Wahltag keine systematischen Manipulationen festgestellt werden und sowohl die internationalen als auch die zahllosen einheimischen Wahlbeobachter die Wahlen ungehindert beobachten konnten, bestanden im Wahlkampf kein wirklich ergebnisoffener Wettbewerb. Das Regime Erdogans hat alle verfügbaren juristischen und staatlichen Instrumente genutzt, um Oppositionelle und Kritiker bereits im Vorfeld der Wahl mundtot zu machen und durch zahlreiche Wahlgeschenke wie kurzfristige Gehaltserhöhungen für Beamte die eigene Wählerbasis an sich zu binden. Vor allem in den traditionellen und neuen Medien besaß Erdogan als Amtsinhaber ein absolutes Informationsmonopol. So konnte Erdogan trotz massiver Kritik wegen galoppierender Inflation, Wirtschaftskrise und wachsender Repression erneut wiedergewählt werden, wenn auch mit äußerst fragwürdigen Methoden, die klar den von der Türkei selbst unterzeichneten Regeln des Europarats und der OSZE für freie und faire Wahlen widersprechen.

Wirtschaftliche Bande gegen Entfremdung

Diese Wahl macht wenig Hoffnung für die politische Zukunft des Landes. Es ist zu erwarten, dass die Unterdrückung von Minderheiten und Kritikern in dem zunehmend personalisierten politischen „System Erdogan“ weiter zunehmen wird. Die wirtschaftliche Lage befindet sich durch Hyperinflation und Brain-drain in einer Abwärtsspirale, was die finanzielle und Energie-Abhängigkeit der Türkei von autoritären Staaten wie Russland, Qatar und China weiter fördert. Von der EU ist die Türkei nach diesen Wahlen weiter entfernt denn je. Wir Europäer sollten dennoch nichts unversucht lassen, um die Türkei nicht noch weiter ins Lager unserer systemischen Rivalen abgleiten zu lassen. Eine modernisierte Zollunion könnte ein zentrales Element dabei sein, denn wirtschaftliche Bande gerade zwischen Deutschland und der Türkei bergen enormes Potential für beide Seiten. Höchste Zeit also für einen realpolitischen Ansatz im Verhältnis zur Türkei.

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