INTERVIEW WIRTSCHAFTSWENDE

WIR BRAUCHEN EINE WIRTSCHAFTSWENDE.

Die politischen Herausforderungen dieser Tage verlangen von uns Freien Demokraten Antworten auf Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger. Wie wir dieser Aufgabe begegnen und den Aufbruch gestalten wollen, skizziert unser Bundesvorsitzender im Interview.

Christian Lindner

Christian Lindner

FDP-Bundesvorsitzender & Bundesminister der Finanzen

Deutschland steht vor großen Herausforderungen – teilweise liest man von einem Land „im Niedergang“. Teilen Sie diese Auffassung?

Die Sorgen und Ängste in Zeiten der Epochenumbrüche nehme ich ernst. Deutschland ist aber nicht im Niedergang. Viele unserer Zukunftsaufgaben sind durch Versäumnisse der Vorgängerregierung und externe Einflüsse verstärkt worden: Inflation, steigender Zins, Ukraine-Krieg, steigende Energiekosten und die Konjunkturschwäche Chinas. Deshalb braucht es jetzt Kraft, Mut und einen kühlen Kopf, um kluge Entscheidungen zu treffen. Wir Freie Demokraten werden dabei weder gesundbeten noch schwarzmalen, sondern uns den Aufgaben stellen und die Modernisierung des Landes anschieben.

Die Vorstellungen der drei Regierungsparteien zur Umsetzung politischer Vorhaben liegen teils weit auseinander. Es wird oft laut gestritten. Muss nicht genau jetzt diszipliniert gearbeitet werden?

Es war immer klar, dass die Arbeit angesichts der inhaltlichen Unterschiede zu SPD und Grünen nicht einfach werden würde. Die Kommunikation in der Regierung klappt nicht immer reibungslos, auch wir tragen dabei Verantwortung. Schlussendlich beweisen wir als Regierungskoalition aber, dass wir zum Wohle des Landes tragfähige und zukunftsweisende Lösungen erarbeiten. Das ist das Entscheidende.

Für das Jahr 2024 steht nun der Haushalt. Es wurde bis zuletzt um jeden Euro gerungen, weshalb zum Teil von einem Sparhaushalt die Rede ist. Stimmt das?

Nein, ganz im Gegenteil, es handelt sich um einen Gestaltungshaushalt. Wir investieren auf Rekordniveau und entlasten zugleich die Bürgerinnen und Bürger mit 15 Milliarden Euro durch die Senkung bei Lohn- und Einkommensteuer. All das schaffen wir bei sinkender Schuldenquote und unter Einhaltung der Schuldenbremse.

Der Schuldenbremse widerspricht die Forderung von Habeck nach einem Sondervermögen für die Wirtschaft, um Wachstumsimpulse zu setzen.

Das stimmt. Die Debatte hat aber gezeigt: Der Wirtschafts- und der Finanzminister sind sich in der Analyse einig, dass die deutsche Wirtschaft nicht hinreichend wettbewerbsfähig ist und die Belastungen zu hoch sind. Das kann nicht folgenlos bleiben. Wir brauchen eine Wirtschaftswende. Weg vom Verteilen, hin zum Erwirtschaften. Wir müssen alles tun, was die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum wieder stärkt, und alles unterlassen, was Dynamik kostet.

Können Sie das spezifizieren?

Wir brauchen unter anderem ein Dynamisierungspaket. Das bedeutet zum einen die Meseberg-Bürokratiebeschlüsse von Marco Buschmann umzusetzen. Drei Milliarden Euro geringerer Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft stecken dahinter. Bürokratieabbau bedeutet im Übrigen auch, nicht zusätzlich die EU-Lieferkettenrichtlinie zu beschließen, die Unternehmen massiv belasten würde.

Zudem müssen wir den Arbeitsmarkt mobilisieren und flexibilisieren, dafür braucht es den Jobmotor für Geflüchtete aus der Ukraine und auch das Instrument der Sanktionen bei den Totalverweigerern.

Und darüber hinaus?

In das Dynamisierungspaket gehört auch ein marktwirtschaftliches Klimaschutzgesetz. Unser Ziel muss weniger Planwirtschaft und mehr marktwirtschaftlicher Ideenwettbewerb sein.

Die steuerlichen Anreize im Wachstumschancengesetz für Investitionen und Forschung sollten wir in Richtung einer Unternehmensteuerreform ausdehnen.

Und schließlich müssen wir viel mehr privates Kapital mobilisieren. Banken, Versicherungen und Kapitalsammelstellen anderer Art haben Milliarden Euro unter Verwaltung, investieren es aber nicht in Deutschland. Hier können wir uns viel bei unseren französischen Freunden abschauen.

In Ihrer Rede zum Europaparteitag sprachen Sie von einer „Gestaltungswahl“ am 9. Juni. Was meinen Sie damit?

Die Fragen unserer Sicherheit, unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, der Ordnung der Migration und viele weitere sind inzwischen so groß geworden, dass keines der 27 Mitgliedsländer der EU sie alleine beantworten könnte. Deshalb braucht es eine Europäische Union, die wieder in strategischer Hinsicht in der Lage ist, unsere Werte und Interessen zu vertreten. Bei der Wahl geht es darum, dafür zu sorgen, dass im nächsten EU-Parlament die Stimme der Freiheit gestärkt wird und nicht die Rechts- und Linkspopulisten seine Funktionsfähigkeit von innen heraus gefährden. Es geht am 9. Juni schlicht um Freiheit und Demokratie in Europa.

Abseits von der generellen Bedeutung der Wahl geht es auch inhaltlich um viel. Welche Aufgaben sehen Sie als am drängendsten?

Was für Deutschland gilt, gilt auch für die EU. Wir brauchen Wachstumsimpulse für die Wirtschaft. Neben weniger Bürokratie müssen wir jetzt unseren größten Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA angehen: ein leistungsfähiger, privater Kapitalmarkt, der Risiken und Innovationen finanziert.

Des Weiteren müssen wir konsequenter in der Migrationspolitik werden. Zu lange gab es hier keinen Handlungsdruck. In der Bundesregierung haben wir eine neue Realpolitik in der Migration erreicht und die erlaubte es, auch auf europäischer Ebene eine neue Realpolitik einzuleiten.

Und schlussendlich hat sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unsere politische Prioritätensetzung in Europa fundamental verändert. Wir als Europäer müssen unter dem Dach der NATO unsere verteidigungspolitischen, unsere militärischen Befähigungen verbessern und uns als Europäische Union in die Lage versetzen, unsere Werte und Interessen im Zweifel auch selbst verteidigen zu können.

Im Herbst stehen auch drei Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern an. Wie blicken Sie auf die anstehenden Wahlkämpfe?

Wir Freie Demokraten stehen als einzige politische Kraft für die Freiheit als ein umfassendes Lebensgefühl. Wir schützen Menschen vor Bevormundung und finanzieller Überforderung und ermöglichen zugleich durch Bildung und Arbeit Lebenschancen. Für die Menschen kommt es besonders auf unsere wirtschaftliche Kompetenz an – uns traut man solides Haushalten und Wirtschaftswachstum zu. Das haben wir mehr als einmal eindrucksvoll bewiesen.

Welche Botschaft würden Sie für das anstehende Jahr formulieren?

Wir dürfen uns von den aktuellen Herausforderungen nicht gefangen nehmen lassen. Gerade wir Freie Demokraten haben keinen Grund dazu. Wir sind bereit, uns den Realitäten zu stellen, weil wir von der Zukunft nichts befürchten, sondern etwas erwarten. Ich bin mir sicher, in unserem Land gibt es viele Menschen, die einen Aufbruch wollen, die den Missmut satt sind und die nur auf den ersten Achtungserfolg des Optimismus warten. Gehen wir also voran.

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