WIRTSCHAFTSWENDE DEUTSCHLANDS REFORMBEDARF
NICHTS ZU TUN, IST KEINE OPTION
Deutschland braucht strukturelle Reformen, wenn wir den wirtschaftlichen Turnaround schaffen wollen. Das Potenzial dafür ist im Land zweifelsfrei vorhanden, doch für die zwingend notwendige Wirtschaftswende muss es gehoben werden.
Christian Lindner
FDP-Bundesvorsitzender & Bundesminister der Finanzen
Die Debatten der vergangenen Monate um die wirtschaftliche Situation Deutschlands haben zwei Lager hervorgebracht: Von den einen hört man, die Wirtschaft würde bloß Klagelieder anstimmen. Die anderen, zu denen wir Freie Demokraten zählen, wollen und können die besorgten Weckrufe um den Verlust unserer Wettbewerbsfähigkeit nicht überhören. Das ist – der Blick auf nüchterne Fakten genügt – auch kaum möglich:
Da ist zum einen die mittelfristige Wachstumsperspektive, die in einer Dekade von 1,5 Prozent auf nur noch 0,5 Prozent gesunken ist. Das hat unmittelbare Auswirkungen, wie beispielsweise einem Beschäftigungsabbau in der Industrie. Doch nicht nur die Wachstumsperspektive leidet. Auch im globalen Standortranking hat Deutschland in nur zehn Jahren den Anschluss an die globale Spitze verloren: Standen wir 2014 noch auf Platz sechs, so liegen wir heute auf Platz 22. Als Folge stellen sich deutsche Unternehmen und ausländische Investoren die Frage, ob sich neue Investitionen bei uns lohnen oder diese doch im Ausland besser eingeplant sind.
Wer meint, dass diese rückläufigen Entwicklungen ausschließlich Folgen externer Einflüsse wie der Pandemie oder des russischen Angriffskriegs seien, der irrt. Mögen diese gewiss einen Einfluss haben, sind es insbesondere aber die Auswirkungen jahrelanger politischer Versäumnisse, die wir heute schmerzlich spüren.
Für uns Freie Demokraten steht deshalb fest: Ein Weiter-so kann es nicht geben. Wir müssen unsere wirtschaftliche Substanz stärken. Dies benötigt einen nüchternen Realismus, der die Lage klar beschreibt und anschließend den Mut zum Handeln aufbringt.
Mehr Marktwirtschaft wagen
Deshalb ist es jetzt unser Auftrag, „Made in Germany“ wieder zu einer Marke zu machen. Es geht darum, die klugen Köpfe, das Know-how und das Kapital, das wir in diesem Land haben, zu mobilisieren.
Dafür braucht es mehr Marktwirtschaft. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb, die Bereitschaft zu unternehmerischem Risiko, der Erfindungsreichtum von Ingenieurinnen und Technikern und die individuellen Entscheidungen der Menschen müssen unsere Wirtschaftsstruktur bestimmen. Die politische Aufgabe ist es dabei, Anreize so zu setzen, dass sich Initiative lohnt und die Menschen Freude daran haben, Verantwortung zu übernehmen.
Unser Plan für den Aufschwung
Dafür wollen wir – ohne Denkverbote – an unseren Rahmenbedingungen arbeiten. Erstens: Wir müssen die Bürokratiebelastung weiter konsequent reduzieren. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz haben wir gut vorgelegt. Es bringt jedoch wenig, wenn wir einerseits den Bürokratiestress nach deutschem Recht auf den niedrigsten Stand seit 2012 drücken, zugleich aber von Ursula von der Leyen aus Brüssel in gleichem Umfang nachgelegt wird. In ihr steckt der Geist des Misstrauens gegenüber ehrlichen Kaufleuten und den Bürgerinnen und Bürgern.
Zweitens braucht es ein Update für den Arbeitsmarkt, denn der Mangel an Arbeitskräften bremst Land und Wirtschaft immer stärker aus. Wir sind mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz einen ersten, wichtigen Schritt gegangen – weitere sollten folgen. So müssen wir stärker diejenigen fördern, die bereit sind, mehr Leistung zu erbringen, um zum Beispiel dem Traum vom eigenen Haus oder sonstigen Lebenszielen durch Arbeit näher zu kommen.
Drittens müssen wir unsere bisherige Energiepolitik kritisch hinterfragen. Wir haben bereits verabredet, dass der zukünftige Strommarkt marktwirtschaftlich organisiert werden wird. Marktwirtschaft bedeutet aber auch, Subventionen für Erneuerbare Energien, zum Beispiel Solar und Wind, zu prüfen – insbesondere, wenn sich zeigt, dass diese längst wettbewerbsfähig sind.
Und viertens müssen wir unser Steuersystem überarbeiten. Der Preis, in Deutschland unternehmerisch tätig sein zu dürfen, ist zu hoch. Wir müssen Abschreibungen, die Abschaffung des Solidaritätszuschlages und weitere weitreichende Entlastungen forcieren, um den Menschen und Unternehmen wieder Freude daran zu machen, in Deutschland wirtschaftlich erfolgreich zu sein und Gewinne hier zu investieren.
Wirtschaftswende ist Projekt des gesamten Landes
Die Dringlichkeit dieses Anliegens ist unverkennbar. Wenn wir weiterhin spitzenmäßige Verantwortung in der Welt tragen wollen, wenn wir weiterhin spitzenmäßige Lebensstandards, soziale Absicherung und ökologische Standards haben wollen, dann müssen wir auch bereit sein, spitzenmäßige Leistung zu erbringen.
Unsere Maßnahmenvorschläge liegen auf dem Tisch. Wir sind offen für konstruktive Vorschläge – von Koalition, Opposition, Verbänden und Gewerkschaften. Denn die Wirtschaftswende ist kein Projekt der Freien Demokraten, sondern muss ein Projekt des Landes sein. Denn klar ist: Nichts zu tun, wäre für das Wohl des Landes schlichtweg unverantwortlich.
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