STIFTUNG CHINAPOLITIK
JA ZU DE-RISKING,
NEIN ZU DE-COUPLING
Unsere Handelspolitik gegenüber China braucht ein Leitmotiv. Es zu entwickeln verlangt strategischen Weitblick und diplomatische Klugheit.
Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué
Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
„Wandel durch Handel“ – Diese Vision aus den Neunzigerjahren hat sich als komplette Illusion erwiesen. Jedenfalls mit Blick auf China. Die dynamische und erfolgreiche Integration des riesigen Landes in die globale Arbeitsteilung hat nicht dazu geführt, dass Demokratie und Rechtsstaat in das kommunistische Reich der Mitte Einzug hielten. Auch von wettbewerblicher Marktwirtschaft im westlichen Sinn kann in China nicht die Rede sein, eher schon von Partei- oder Staatskapitalismus, in dem letztlich die großen strategischen Ziele der Partei- und Staatsführung entscheiden, wie sich formal private Unternehmen in den Weltmärkten zu platzieren haben und was sie dafür an wertvollen Informationen beim Staat „abliefern“ müssen. Dies gilt vor allem für den Bereich der Hochtechnologien, in dem sich das China von Xi Jinping schon vor Jahren unter dem Motto „Made in China 2025“ höchst ehrgeizige Staatsziele für die Zukunft gesetzt hat.
DIE ZEIT DES LAISSEZ-FAIRE IST VORBEI
Wie geht man damit um? Klar ist: Die Zeit des Laissez-faire ist vorbei, selbst für Liberale, die aus Liebe zum freien Handel lange Zeit allzu nachsichtig auf das geostrategische Treiben Chinas geblickt haben. Massive Subventionen für ausgewählte Branchen der Hochtechnologie, asymmetrische Behandlung von Direktinvestitionen in China im Vergleich zu chinesischen Direktinvestitionen anderswo, eine „neo-imperialistische“ Politik Chinas – im Bestreben, die rohstoffreichen Länder Afrikas und Lateinamerikas von China abhängig zu machen – all dies liegt längst offen zu Tage und wird von China als ganz selbstverständliche Politik angesehen, gewissermaßen als Folge jener Souveränität einer wachsenden Weltmacht, die sich jede Einmischung in innere Angelegenheiten brüsk verbittet.
Was tun in einer solchen Lage? Weitgehender Konsens besteht in Deutschland inzwischen, dass Vorsicht geboten ist. Anders als in Macrons Frankreich ist das politische Establishment zu Recht nicht bereit, im Stile De Gaulles die chinesische Strategie als unvermeidliche Großmachtpraxis abzutun und zur Tagesordnung des „business as usual“ überzugehen. Bleiben zwei unterschiedliche Antworten auf Chinas Politik: De-Coupling und De-Risking.
EINE NEUE ORIENTIERUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN CHINAPOLITIK
De-Coupling ist der Versuch, tatsächlich den Handel mit China systematisch zu beschränken. Dies ist die Grundphilosophie der amerikanischen Politik. Sie versucht zu erreichen, dass die tiefe Verflechtung der amerikanischen Wirtschaft mit China nach dynamischer Zunahme in den letzten beiden Jahrzehnten nun im Trend systematisch abnimmt. Instrumente dieser Politik sind offener und verdeckter Protektionismus, allen voran der Versuch, durch eigene massive Staatsförderung wichtige Stufen der industriellen Wertschöpfungsketten nach Amerika zurückzuholen, nachdem sie über die Jahre nach China verlagert wurden – oft übrigens im Rahmen von betriebswirtschaftlich gefeierten Strategien des „Outsourcing“ und „Offshoring“.
Diese protektionistische Politik ist inhaltlich fragwürdig und extrem teuer. Sie weckt eher den Eindruck einer panischen Reaktion als eines durchdachten Konzepts. Sie erinnert an jene nervösen US-amerikanischen Antworten auf den Aufstieg Japans in den Achtzigerjahren: Protektionistischer Aktionismus auf breiter Front statt kluger Fokussierung auf das Kernproblem. Dieses liegt aber heute nicht in der generell hohen Verflechtung mit China, sondern in der Abhängigkeit in zentralen sicherheitsrelevanten Bereichen. Es geht also eigentlich um eine Strategie des „De-Risking“, also einer Verminderung der Sicherheitsrisiken, die in einigen Segmenten der Hochtechnologie entstehen, wenn eine fremde und potenziell feindliche Macht in die Netze der Informationen und Infrastruktur des eigenen Landes eindringt. Diese Bereiche sind möglicherweise, was das Gesamtvolumen des Handels mit China betrifft, gar nicht so groß, um die Integration mit dem Reich der Mitte in weiten Teilen infrage zu stellen. Sie sind aber unbestreitbar vorhanden.
Das praktische Problem besteht natürlich in der Abgrenzung dieser Bereiche. Der Fall Cosco im Hamburger Hafen war dafür symptomatisch: Manche Experten halten den dortigen Erwerb von Anteilen der Chinesen an einem Terminal für harmlos, andere Experten sehen dies ganz anders. Aber wie immer in der Politik darf die Tatsache, dass es Grauzonen und Streit in der Diagnose gibt, den Staat nicht daran hindern, das Problem anzugehen und zu handeln – auch auf die Gefahr hin, dass er das richtige Maß an Kontrolle und Beschränkung nicht findet. Tatsächlich geht es um eine Art politischen Lernprozess. Der dauert Jahre, und Irrtümer sind dabei nie ausgeschlossen.
Es wird Zeit, dass sich die europäische und die deutsche Politik intensiv mit der Strategie des De-Risking auseinandersetzen. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in dieser Hinsicht – ganz anders als Emmanuel Macron – erste richtige Zeichen für eine neue Orientierung der wirtschaftlichen Chinapolitik gesetzt. Man wird sehen, was daraus wird.
AUCH CHINA IST VERWUNDBAR
Und man wird sehen, wie China darauf reagiert. Zwar greift Peking sehr gerne auf martialische Rhetorik zurück, wenn es um die Verteidigung der eigenen strategischen Autonomie geht. Das Säbelrasseln gegenüber Taiwan ist dafür ein markantes Beispiel. Aber Symbole und Worte sind etwas anderes als konkretes politisches Handeln. China wird in Rechnung stellen, wie stark das eigene Land selbst von den Segnungen des internationalen Handels abhängt. Längst ist China der Weltmeister des Exports – inzwischen im Ausfuhrvolumen stabil vor Deutschland. Der erreichte Wohlstand der eigenen Bevölkerung wäre da schnell gefährdet, würde man zu Waffen des Handelskriegs greifen. Auch China hat da viel zu verlieren.
So haben Europa und Deutschland durchaus Spielräume, ungestraft ein gewisses Niveau des De-Risking zu erreichen. Analoges gilt beim Verteidigen der liberalen Prinzipien der Welthandelsordnung, die China bisher ohne große Bedenken verletzt, vor allem was die Behandlung ausländischer Direktinvestitionen betrifft. Auch hier gilt: China ist – als weltwirtschaftlich hoch integriertes Land – durchaus verwundbar, nicht weniger als Deutschland und Europa als Ganzes. Nur wenn die Politik bereit ist, diesen Spielraum zu nutzen, kann man einer vernünftigen Lösung näherkommen.
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