STIFTUNG OPTIMISMUS STATT POPULISMUS
ZEITENWENDE DES
ZEITGEISTES
Die Europawahl hat die politische Landschaft in Deutschland verändert. Die Gründe dafür reichen tief. Der „Rechtsruck“ ist nur eine Dimension davon.
Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué
Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Nichts währt ewig. In den sechziger Jahren sprachen die Demoskopen in Deutschland von „Genosse Trend“, der die Sozialdemokraten schier unaufhaltsam nach oben trieb – in den Umfrage-, aber zum Großteil auch in den Wahlergebnissen. Im Gefolge des reformpragmatischen Godesberger Programms von 1959 wurde die SPD für zunehmend breite Wählerschichten attraktiv. Der Trend währte über rund eineinhalb Jahrzehnte, dann aber stoppte er: Das Potenzial war ausgeschöpft, ein neues Zeitalter begann, in dem die SPD mit einem langsamen Abstieg zu kämpfen hatte.
Eine neue Trendwende?
Die Europawahl 2024 könnte das Wetterleuchten einer neuen Trendwende sein, diesmal bei den Grünen. Sie erlebten einen Erdrutsch – von 20,5 Prozent 2019 auf 11,9 Prozent 2024, ein Verlust von fast drei Millionen Wählerinnen und Wählern. Das ist der größte Einbruch, den die Grünen jemals in ihrer Geschichte bei einer deutschlandweiten Wahl hinnehmen mussten – nach eineinhalb Jahrzehnten des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs, der maßgeblich durch die thematische Dominanz von Klimapolitik und Ökologie befördert wurde. Selbst bei der Jungwählerschaft gab es drastische Einbußen – unter den 18- bis 24-Jährigen laut Exit Polls von 34 auf 11 Prozent. Auch europaweit kam es zu deutlichen Verlusten: Die Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament schrumpft von 71 auf rund 50 Abgeordnete.
Was ist da politisch los? Eine konjunkturelle Delle oder ein neuer Trend mit einer Zeitenwende des Zeitgeists? Es gibt gute Gründe, einen neuen Trend zu vermuten. Offensichtlich leidet die politische Linke in Deutschland (und anderswo) – SPD, Grüne und Die Linke kamen hierzulande gerade mal noch zusammen auf 28,5 Prozent der Stimmen. Demgegenüber hielt sich die bürgerliche Mitte – Union und FDP – gegenüber der letzten Europawahl 2019 stabil, und die Populisten der AfD und das BSW gewannen kräftig. Also: Ohne Zweifel eine Bewegung „nach rechts“, wie sie in anderen europäischen Ländern seit einigen Jahren längst zur Normalität gehört. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Krieg in der Ukraine und in Nahost, anhaltende Wirtschaftskrise sowie vor allem die weiterhin unkontrollierte Zuwanderung treiben die Menschen um, in Deutschland und ganz Europa. Es sind alles harte Themen, die sich in ihrer unabweisbaren Dringlichkeit vor den Kampf gegen den Klimawandel und die sozialpolitisch abgefederte ökologische Transformation geschoben haben, jedenfalls im Bewusstsein der Menschen. Alles spricht dafür, dass dies auf absehbare Zeit so bleibt.
Junge Wähler: Unerwartete Trends
Zum „Rechtsruck“ zu „harten“ Themen kommen allerdings noch andere Kräfte, die in die gleiche Richtung wirken. So haben die 18- bis 24-Jährigen zu 17 Prozent die Union und zu 16 Prozent die AfD gewählt – und nur noch zu 11 Prozent Die Grünen. Offenbar spüren gerade die jungen Leute mit ihren Zukunftsplänen und -ängsten den Wandel der Herausforderungen besonders stark – und reagieren in ihren Wahlentscheidungen viel flexibler, als die Strategen eigentlich aller Parteien erwartet hatten. Die Dominanz des Geistes der ökobewegten Gymnasiasten, den man noch vor wenigen Jahren mit Fridays for Future auf den Straßen beobachten konnte, hat sich weitgehend verflüchtigt. Offenbar hat auch die moralische Kraft der flehentlichen Appelle in der Klimapolitik nicht gefruchtet, genauso wenig wie die Neigung der Grünen und ihrer intellektuellen Unterstützer, jede Kritik daran als „rechts“, „rechtspopulistisch“ oder gar „rechtsextrem“ abzutun. Vielleicht wurde dies sogar von einer schweigenden jungen Wählerschaft zunehmend als moralisierende Belästigung empfunden und führte zu Trotzreaktionen – bis hin zur Wahl der AfD.
Optimismus und Zuversicht: Eine neue Perspektive
Schließlich kommt ein weiteres emotionales Element hinzu, das gerade für Liberale von strategischer Bedeutung ist – wegen ihrer grundsätzlich optimistischen Weltanschauung. Grüne greifen in ihrer Gesellschaftskritik zunehmend gerne auf apokalyptische Szenarien zurück, um der Dringlichkeit der Klimapolitik Nachdruck zu verleihen. Sie merken dabei nicht, dass sie sich einer Vorstellungswelt bedienen, die eigentlich zum klassischen Repertoire des ängstlichen Konservatismus oder gar des aggressiv Reaktionären gehört – vom Jüngsten Gericht bis hin zum Untergang des Abendlandes, wie es Oswald Spengler in den zwanziger Jahren verbreitete und damit im zivilisationskritischen Publikum der Rechten riesige Erfolge erzielte. Linke Vorstellungen der Zukunft waren dagegen früher stets zuversichtlich, um für die „gute Sache“ zu mobilisieren. Von diesem Optimismus ist bei den Grünen (und bei der politischen Linken generell) kaum etwas übrig geblieben. Ihre Welt besteht nicht aus freiwilliger Motivation der Menschen und Offenheit für neue Technologien, sondern vor allem aus restriktiven Lenkungen und Verboten.
Es mag nun durchaus sein, dass eine neue – post-grüne (?) – Generation diese Art von Bevormundung doch weit weniger schätzt, als ihr oft urbaner Lifestyle glauben machen könnte. Dies gilt umso mehr, als die klimapolitische Dimension längst einen ganz natürlichen Einzug in ihr Leben gehalten hat, denn Bioläden gibt es inzwischen überall, das Auto ist längst kein Statussymbol mehr und kaum ein Produkt unserer Wirtschaft wird ohne Bezug zu seiner Umweltfreundlichkeit beworben. Die Welt ist längst, was ihre Werte betrifft, stark ökologisch geprägt. Warum dann – fragen sich viele junge Menschen – die ständige moralisierende Aufregung?
Eine liberale Vision für die offene Gesellschaft
Tatsächlich ist diese Gemütslage ein wichtiger Ansatzpunkt für eine liberale Offensive des Optimismus. Die Freien Demokraten können mit ihrem Plädoyer für zuversichtliche Gestaltungsfreude dieser Generation (und allen Menschen) ein Angebot machen – ganz im Stil ihres großen intellektuellen Ahnherren Ralf Dahrendorf, der schon in den siebziger Jahren die offene Gesellschaft beschwor – mit einem Staat, der sich verpflichtet, das Maximum an Lebenschancen für alle zu ermöglichen. Tatsächlich sollten Liberale in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts jenen Optimismus in die Politik zurückholen, der den Grünen und der gesamten politischen Linken abhanden gekommen ist. Dies könnte auch helfen, die Menschen für die demokratische Mitte des politischen Spektrums zurückzugewinnen statt sie der Frustration des Rechtspopulismus zu überlassen.
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